Wenn alles klappt, wie geplant, sollen am 15.04.2023 die restlichen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Geplant war das Ganze ja schon ein paar Mal. So hat 2000 die rot-grüne Regierung beschlossen, dass bis spätestens 2020 alle AKWs abgeschaltet sein sollten. 2010 gab es dann bei einer schwarz-gelben Mehrheit eine Laufzeitverlängerung (“Ausstieg vom Ausstieg”). Nach der Katastrophe in Fukushima 2011 beschloss die gleiche Regierung einen Ausstieg bis Ende 2022. Als letzter Akt kam dann der von der Ampel-Regierung beschlossene Streckbetrieb der verbliebenen 3 AKWs bis zum 15. April 2023.
Man müsste in diesem Zug noch mal die finanziellen und sonstigen Zugeständnisse gegenüber den Kraftwerksbetreibern zusammenfassen. Da kommt einiges zusammen.
Aber halten wir mal fest, sowohl eine Regierung mit SPD und Grünen als auch eine mit CDU und FDP hat letztendlich für den Ausstieg aus der Kernenergie gestimmt. Das nenne ich mal eine breite Basis. Wobei, wenn man sich aktuell die Äußerungen einiger Politiker anhört, diese wohl vergessen haben, wie sie mal abgestimmt haben.
Leider wird das Ganze Thema ja stets höchst emotional diskutiert. Da gibt es Kernkraftgegner, für die Bauschutt zum Atommüll wird und mal meint ein Ministerpräsident in Süddeutschland, die Energieversorgung wäre akut in Gefahr. Beides ist unwahr. Ich bin grundsätzlich gegen AKWs, kann und werde das hier auch noch sachlich begründen, kann aber auch einige Argumente für eine Laufzeitverlängerung verstehen.
Aber schauen wir uns doch mal die aktuelle Lage an. Die Website. energy-charts.info vom Fraunhofer ISE liefert umfangreiche Daten und Diagramme zur Stromerzeugung in ganz Europa auch für zurück liegende Zeiträume.
Das ist die Stromproduktion und der Verbrauch für die 13. Kalenderwoche 2023, aufgeschlüsselt nach Kraftwerkstypen. Die schwarze Linie ist der Verbrauch. Verbrauch und Produktion müssen jederzeit gleich sein, ansonsten wird das Netz instabil. Die beiden Kurven ähneln sich zwar, sind aber nicht deckungsgleich. Die Differenz wird durch Im- und Exporte ins bzw. aus dem Ausland ausgeglichen.
Der Bereich über den wir sprechen ist der rote Streifen ganz unten im Diagramm. Das ist die Stromerzeugung durch die Kernkraftwerke. Schön gleichmäßig, nicht wahr. Deswegen werden solche Kraftwerke auch gerne als Grundlastkraftwerke bezeichnet, da sie dauerhaft eine gleichbleibende Leistung liefern können. Allerdings können AKWs auch gar nicht viel anders. Sie sind, technisch bedingt, nur sehr langsam regelbar.
Es wird ja immer gerne behauptet wir müssten irgendwie die Grundlast abdecken. Nein, das ist falsch. Wir müssen die komplette Last, also den Verbrauch, abdecken, jederzeit. Ob man dazu einen Teil mit großen, dummen, kaum regelbaren Kraftwerken abdeckt ist völlig egal. Auch wenn wir die Lastspitzen nicht abdecken können, kommt es zu Stromausfällen.
Grundlastkraftwerke sind also nicht zwingend notwendig, es beschreibt nur deren mangelhafte Steuerfähigkeit. Und auch Grundlastkraftwerke stehen nicht ständig zur Verfügung. In Frankreich waren letzten Sommer nur etwa die Hälfte aller AKWs in Betrieb. Einige wegen planmäßiger Wartung, einige wegen Defekten und eine ganze Reihe musste abgeschaltet werden, weil nicht genügend Kühlwasser zur Verfügung stand. Die Flüsse hatten durch die Dürre einfach einen zu niedrigen Pegel.
Wenn man sich den schmalen roten Balken ansieht, entspricht das hier im Beispiel nur 3,6 bis 5,9% der gesamten Stromproduktion. Die drei Reaktoren liefern ca. 2,8 GW. Zum Vergleich: Strom aus Biomasse liefert 4,8 GW.
Der Ausstieg ist mehrfach mit breiter Mehrheit beschlossen worden, und das ist auch gut so. Jetzt an der Grundsätzlichkeit rum zu diskutieren bringt gar nichts. Die Wende zu erneuerbaren Energien muss fortgeführt werden. Eigentlich war Strom aus Erdgas als Brückentechnologie vorgesehen. Doch durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine sind die Versorgungsmöglichkeiten für Erdgas verringert. Deswegen hätte man tatsächlich über begrenzte Laufzeitverlängerungen nachdenken können. Aber die Kernkraftwerksbetreiber haben ja schon vorher mit dem Aus gerechnet und daher keinen Brennstoff auf Lager. Auch müssten dann wieder Revisionen in den Kraftwerken durchgeführt werden, wenn man die Verlängerung nicht auf Kosten der Sicherheit umsetzen wollte. Unklar wäre auch die Personalsituation. Wären überhaupt noch genügend qualifizierte Mitarbeiter da? Oder gehen einige in den Ruhestand oder haben sich schon was Neues gesucht?
Aber wenn wir die Kraftwerke abschalten, dann importieren wir doch Atomstrom aus dem Ausland, oder? Die Polen setzen doch jetzt auf Kernkraft und wollen neue AKWs bauen. Deutschland hat in Summe schon immer mehr Strom produziert, als wir selbst verbraucht haben. Das wird wohl jetzt etwas weniger. Und natürlich müssen wir weiterhin die Erneuerbaren Energien und auch Speicher ausbauen. Das wird schneller gehen, als die Atomkraftwerke in Polen. Die wurden zwar jetzt beschlossen. Baubeginn soll 2026 und erst Mitte der 40er Jahre sollen alle sechs AKWs fertig sein. Ob die geplanten Kosten von 40 Milliarden Euro eingehalten werden können, ist zweifelhaft.
Negativbeispiel ist der dritte Reaktorblock des Kernkraftwerkes Olkiluoto. 2003 war die Ausschreibung, 2005 Baubeginn und 2009 sollte er fertig gestellt werden. Nun er kann wohl erst JETZT den regulären Betrieb aufnehmen. 14 Jahre später, als geplant; während sich die Kosten von 3 auf 9 Milliarden erhöht haben. Super billig, diese Kernenergie. Und man sieht, dass die Realisierung von großen Anlagen nicht nur in Deutschland Zeit braucht. Auch nach dem regulären Zeitplan wären es 6 Jahre gewesen.
Überhaupt die Kosten. Wenn man alle Kosten ehrlich einrechnet, dann ist die Kernenergie plötzlich nicht mehr so günstig, wie immer wieder behauptet. Da wären natürlich die Kosten für die Endlagerung. Hier haben die Betreiber in einen Topf eingezahlt, der garantiert nicht die Kosten für Erstellung und Betrieb eines Endlagers für 1 Million Jahre decken würden. Die Betreiber haben durch die Einzahlung aber ihre Schuldigkeit getan. Für den Rest muss der Bund sorgen.
Auch im Betrieb haben sich die Betreiber um Kosten gedrückt. So mussten sie das Havarierisiko nicht versichern. Es wäre einfach unbezahlbar gewesen. Jährlich 72 Milliarden. Im Katastrophenfall hätte der Bund einspringen müssen.
Aber die neuen Kraftwerkstypen sind doch alle viel sicherer, oder? Das kann schon sein, dass die Hersteller aus Fehlern, bzw. Katastrophen gelernt haben. Aber vor den Unfällen von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, hätten die Verantwortlichen auch nicht vorher gesagt, dass diese Unfälle so passieren können. Überhaupt hat die ganze Branche viel Vertrauen verspielt. Bei jedem Unfall und bei jeder großen Katastrophe wurde das Ausmaß zunächst stets runter gespielt. Und die Behörden haben im Zweifelsfall lieber weniger, als zu viel unternommen.
Jede Technik hat ihre Schwachstellen und ein weiterer großer Schwachpunkt ist der Mensch. Menschen machen Fehler entweder aus Versehen oder mit Absicht und in einem Kernkraftwerk können solche Fehler katastrophal sein.
Und was ist mit den neuen kleinen Reaktoren, den Small Modular Reactors (SMR)? Mein Bild von den SMR war dass das einfach so ein normaler Transportcontainer ist, der mit der Technik vollgestopft ist, alleine vor sich hin läuft und den sich jedes größere Unternehmen einfach irgendwie in eine Ecke des Betriebsgeländes stellt. Ich denke dieses Bild, haben viele.
Es handelt sich allerdings nur um ETWAS kleinere Anlage. Das sind immer noch große Industrieanlagen, die aktiv mit entsprechendem Fachpersonal betrieben werden müssen, die ein umfangreiches Kühlsystem brauchen und ein Sicherheitssystem benötigen. Kann sein, dass durch Reihenfertigung die Kosten der einzelnen Reaktoren sinken, allerdings sind wir da noch im Prototyp-Stadium. Und viele grundlegende Probleme der Kernenergie werden damit auch nicht gelöst.
Kann man den Atommüll nicht unschädlich machen? Es gibt da die Idee der Transmutation. Da soll der langlebige Atommüll umgewandelt werden, so dass er nur noch kurze Zeit strahlt. Rein von der Physik funktioniert das. Auch im Labor konnte das überprüft werden. Von einer Umsetzung im kommerziellen Maßstab sind wir aber auch hier noch weit entfernt. Bei der ingenieurstechnischen Realisierung einer im Labormaßstab funktionierenden Technik können noch ganz neue Herausforderungen auftreten.
Allerdings würde es sich bei Transmutations-Anlagen auch wieder um Atomreaktoren handeln. Mit all den technischen und sicherheitsrelevanten Problemen. Aktuell hilft uns das nicht. Vielleicht wird es irgendwann mal solche Anlagen geben, bis dahin müssen wir aber schauen, dass wir den Atommüll irgendwo sicher lagern.
Die Versorgung mit Kernbrennstoff ist auch nicht unbedingt sichergestellt. Auch hier ist eine hohe Abhängigkeit von Schurkenstaaten gegeben. Russland kontrolliert z.B. direkt und indirekt einen großen Teil des Uran-Marktes.
Und noch mal ein anderer Punkt zum Thema Sicherheit. Die Situation im Kernkraftwerk Saporischschja war im Ukrainekrieg bis jetzt schon mehrfach kritisch. Zum einen durch direkten Beschuss, zum anderen dadurch, dass das Personal übermüdet war und vor allem dadurch, dass die Stromversorgung von außen immer wieder zerstört wurde und so die Kühlung gefährdet war. Es musste mehrfach ein großer Aufwand betrieben werden, um weitere Gefahren abzuwenden. Auch solche ungewollten Situationen durch Krieg, Unruhen, Sabotage, Terrorismus oder Katastrophenfälle, die indirekt auf ein AKW einwirken, müssen bei der Bewertung der Kernenergie mit einfließen.
Also Alles in Allem: viele ungelöste Probleme, große Sicherheitsrisiken, sehr hohe Kosten und lange Bauzeiten. Das Geld sollten wir stattdessen in erneuerbare Energien stecken. Hier können wir schneller und nachhaltiger einen Ausbau erreichen.