Die Kritik privilegierter alter Männer

Vor einer Woche erschien bei Zeit-Online ein Artikel über die möglichen Konsequenzen von Schulöffnungen. Tenor war, man solle auf jeden Fall darauf verzichten, weil der Schutz des Lebens einen höheren Stellenwert habe als Bildung. Dem stimme ich erst einmal grundsätzlich zu.

Allerdings geht der Autor davon aus, dass der Schulunterricht wie gewohnt fortgesetzt wird. Das stand allerdings nie zur Debatte. Aktuell sind die ersten Schüler wieder zurück in den Schulen, aber nur unter strengen Voraussetzungen, so dass Ansteckungen möglichst vermieden werden. Da scheint es beim Autor wohl massive Wissenslücken zu geben.

Mir sagte der Name Volker Boehme-Neßler auch nichts. Aber allein aufgrund seiner Aussagen ergibt sich ein klares Bild, dass er in einer besonders privilegierten Position sein muss. Eine kurze Recherche bestätigte das. Er ist nicht nur hin und wieder als Gastautor in diversen Medien aktiv, sondern ist vor allem auch Professor für Jura an der Uni Oldenburg.

Es ist schade, dass so ein alter Mann, der jungen Menschen Wissen vermitteln soll, so wenig von der Realität von Millionen Menschen in Deutschland versteht.

Schulpflicht ist nicht nur eine kleine unwichtige Sache, die man mal eben über Bord schmeißen sollte. Da fällt mir gerade noch das Geschrei der Rechten nach der Schulpflicht ein, als Schüler freitags für das Klima demonstriert haben.

Es geht um Bildung. Bildung ist wichtig und ebnet den Weg in die Zukunft. Herr Boehme-Neßler ist doch auch in der Branche aktiv. Aber vielleicht sehnt er sich ja selbst nach einem bezahlten Sabbatjahr.

Diese Bildung kann man nicht von heute auf morgen so umstellen, dass alles zu Hause passiert. Aktuell sind das alles Behelfslösungen. Und wird reden nicht, wie Herr Boehme-Neßler von ein “paar Wochen”, sondern es wird um mehrere Monate, bis Jahre gehen. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen, wie die Kinder wieder unterrichtet werden können. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Lerninhalten, sondern um das soziale Leben. Gerade für jüngere Schüler ist ein Miteinander sehr wichtig. Direkte Kontakte kann auch kein Videochat ersetzen.

Gleiches gilt natürlich auch für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Online kann man sich seine Kontakte aussuchen und seine eigene kleine Blase erschaffen. Da ist Ausgrenzung statt Integration das Motto. Aber das sind alles keine Themen mit denen sich der Autor auskennt. Er argumentiert von einem rechtstheoretischem Standpunkt aus.

Vor allem ärgert mich, dass er die Belastung der Eltern in einem Nebensatz abgehandelt. Aber gerade da liegt das Problem; und nicht nur in Familien in schwierigen sozialen Verhältnissen. Viele Eltern sind berufstätig und können das nur dank Nachmittagsbetreuung leisten. Jetzt sind die Kinder den ganzen Tag zu Hause. Klar, manche können von zu Hause aus arbeiten. Aber “Homeschooling” (blödes Wort) bedeutet auch, dass die Eltern die Rolle des Lehrers übernehmen müssen. An Arbeit nebenbei ist da nicht zu denken. Wann sollen die Eltern dann ihre Arbeit erledigen?

Klar ist das eine schwierige Situation und die Lösungen werden für alle nicht einfach sein, aber pauschal auf die Öffnung von Schulen zu verzichten, ist sicherlich der völlig falsche Weg. Es sind Praktiker und keine Theoretiker wie Boehme-Neßler gefragt.